Synthetische Opioide sind hochpotente Drogen, die im Labor hergestellt werden und teils den 50- bis 100-fachen Wirkungsgrad von Heroin erreichen. Wenn synthetische Opioide klassischen Drogen wie Heroin beigemischt werden und die Konsumenten gar nicht wissen, was sie sich spritzen, kann es schnell zu Überdosierungen kommen. Mit der im Jahr 2022 in den USA beschlagnahmten Menge der Droge Fentanyl hätten nach DEA-Angaben theoretisch alle rund 333 Millionen Einwohner des Landes getötet werden können. Suchtexperten warnen davor, dass es in Deutschland bereits auch zu drastisch steigenden Zahlen bei Drogentoten durch Fentanyl & Co. kommt.
➥ Autor: Barbara M. Thielmann
Fentanyl – was ist das eigentlich?
Fentanyl ist eigentlich ein starkes Schmerzmittel. Es ist bis zu 100-mal stärker als Morphium und gleichzeitig ist es schon länger Auslöser einer schweren Drogenkrise in den USA. Bereits 2 Milligramm Fentanyl reichen für eine tödliche Überdosis. Zum Vergleich: für eine tödliche Überdosis Heroin werden 200 Milligramm benötigt.
Fentanyl (auch Fentanil) ist ein synthetisches Opioid, das zur Linderung starker akuter und chronischer Schmerzen in der Anästhesie und in der Intensivmedizin, notfallmedizinisch und zur ambulanten Schmerztherapie eingesetzt wird. Angewendet wird es als Injektion, Pflaster, Nasenspray und durch Aufnahme über die Mundschleimhaut. Es gilt als unentbehrliches Arzneimittel der WHO und wirkt als Vollagonist* am μ-Opioidrezeptor.
*Agonist = Substanz, die durch Besetzung eines Rezeptors die Signalübertragung in der zugehörigen Zelle aktiviert. Es ist aufgrund seines Suchtpotenzials dem deutschen und Schweizer Betäubungsmittelgesetz sowie dem österreichischen Suchtmittelgesetz unterstellt und wird per Betäubungsmittelrezept verschrieben. Seit 2010 prägen Fentanyl und seine Abkömmlinge in den USA die dritte Welle der Opioid-Epidemie, indem sie zunehmend als Rauschmittel verwendet werden und für eine hohe und wachsende Anzahl von Todesfällen durch Überdosierung verantwortlich sind.
Opioidrezeptoren?
Opioidrezeptoren sind spezifische, zelluläre Bindungsstellen (Rezeptoren) für Opioide. Diese Bindungsstellen sind bei vielen Tierarten und im menschlichen Gehirn zu finden. Gewöhnlich binden sie körpereigene (endogene) Peptide. Opioidrezeptoren befinden sich im zentralen und peripheren Nervengewebe, eine höhere Dichte findet sich im Thalamus. An die Opioidrezeptoren docken endogene Liganden, aber auch sogenannte opioidhaltige Narkoanalgetika an. Die Schmerzmittel (Analgetika) können zum Beispiel natürlichen (Morphin) und/oder synthetischen (Fentanyl) Ursprungs sein. Auch Opioid-Antagonisten wie Naloxon oder Naltrexon entfalten ihre Wirkung an den Opioidrezeptoren.
Ein bisschen Pharma-Geschichte
Machen wir mal eine kleine Zeitreise zu den Anfängen der Entdeckung des Fentanyls. Dazu reisen wir ins Jahr 1937, in die Hoechster Farbwerke. Dort war es Chemikern zum ersten Mal in der Geschichte gelungen, mit Pethidin und Methadon zwei vollsynthetische Opioidanalgetika zu erschaffen. Diese beiden waren zu Beginn der 50er Jahre international verfügbare Arzneistoffe. 1953 gründete der Belgier Paul Baron Janssen sein Unternehmen Janssen Pharmaceutica. Während seines Militärdienstes arbeitete Janssen an der Universität zu Köln am Institut für Pharmakologie bei J. Schuller. Er gründete 1953 sein eigenes Labor mit einem Kredit seines Vaters über 50.000 Belgische Franken. Dieses Labor war die Keimzelle von Janssen Pharmaceutica. 1985 gründete Janssen Pharmaceutica als erster westlicher Hersteller eine Fabrik in China (Xi’an). Eigene, weiterführende Recherchen sind durchaus erlaubt.
Entwicklungen von Janssen Pharmaceutica (fünf von mehr als 80 stehen bei der WHO auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel).
- (1954) Ambucetamid – das erste von Janssen entwickelte Medikament (Spasmolytikum), besonders wirksam bei Regelschmerzen
- (1958) Haloperidol; entwickelt zur Behandlung von Schizophrenie
- (1960) Fentanyl-Wirkstoffe entwickelt von Paul Janssen und seinem Team
- Droperidol und Etomidate, Anästhetika
- Diphenoxylat gegen Durchfall
Janssen Pharmaceutica gehört seit den 1950er Jahren zu Johnson & Johnson. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie hat Janssen Pharmaceutica den Impfstoff Ad26.COV2.S entwickelt.
Entdeckung des Fentanyls
Die oben genannten beiden Prototypen dienten dem Unternehmen als Vorlage für eine Entwicklung, aus der in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre Dextromoramid und Phenoperidin hervorgingen. 1954 haben die Chemiker Arnold Beckett und Alan Casy die Existenz der Opioidrezeptoren postuliert. Allerdings war man damals von der Kenntnis hochaufgelöster Rezeptorstrukturen, die heute die professionelle Wirkstoffgestaltung prägt, weit entfernt. Aber der Leitgedanke, durch Erhöhung der Wirkstoff-Lipophilie die Gehirngängigkeit und gleichzeitig die Wirksamkeit zu steigern, gipfelte in der Entdeckung des Fentanyls. Paul Janssen synthetisierte es erstmals im Dezember 1960 und es erwies sich als das potenteste Opioidanalgetikum seiner Zeit, mit einer höheren therapeutischen Breite als das bis dorthin genutzte Morphin. Und so wurde Fentanyl dann ab dem Jahr 1963 in mehreren westeuropäischen Ländern als Injektionsanalgetikum vermarktet.
Interessanterweise hatte die Food and Drug Administration (FDA) anfangs Bedenken gegen die Anwendung wegen des Missbrauchsrisikos. Dennoch wurde es 1968 dann doch zugelassen. Nach Ablauf des Patentschutzes wurde es ab dem Jahr 1981 generisch angeboten und die Verkaufszahlen in den USA verzehnfachten sich. Fentanyl wurde im Laufe der Zeit zu einem der weltweit am häufigsten verwendeten Opioidanalgetika. In der weiteren Entwicklungsgeschichte wurden aus Fentanyl durch Modifikation der Molekülstruktur zahlreiche Abkömmlinge (Analoga) weiterentwickelt. Einige davon sind z.B. Sufentanil (1984), Alfentanil (1986) und Remifentanil (1996).
Ausgangspunkt der Opioid-Krise?
Nun, das waren die Pharmafirmen, die hochwirksame Schmerzmittel mit aggressiven Werbekampagnen in den Markt drückten und dabei das Suchtpotenzial wesentlich geringer angaben, als es tatsächlich ist. Und immer wieder geschieht das, doch unterbunden wird es nicht. Dann wird halt einfach mal wieder eine Strafe bezahlt und weiter geht es wie zuvor. So geschehen 2012, als ein Gericht im US-Bundesstaat Arkansas den Mutterkonzern von Janssen, Johnson & Johnson, zu einer Strafzahlung von 1,2 Milliarden US-Dollar verurteilte. Dem Konzern war vorgeworfen worden, bei der Vermarktung seines Neuroleptikums Risperdal Gefahren verharmlost und verschwiegen zu haben. Zuvor war Janssen bereits in ähnlichen Urteilen in South Carolina und Louisiana zu Strafzahlungen von 327 Millionen bzw. 258 Millionen US-Dollar verpflichtet worden. Was verändern diese Zahlungen? Nichts, absolut gar nichts. Normalerweise richten diese Höhen an Strafgeldern Konzerne zugrunde. Doch nicht Konzerne der Pharmaindustrie. Das zeigt einmal mehr, welche Summen durch Pharmazeutika verdient werden …
Die amerikanischen Ärzte und Fentanyl
In Kombination mit einer laxen Verschreibungspraxis von Ärzten führte das in den letzten 25 Jahren zu immer mehr Drogensüchtigen. Sie mussten sich ihren Stoff schließlich illegal besorgen, wenn sich kein Mediziner mehr fand, der bereitwillig den Rezeptblock zückte. Nach Angaben der US-Regierung ist Fentanyl inzwischen die Todesursache Nummer eins für Menschen zwischen 18 und 49 Jahren in den USA. Schätzungen zufolge starben 2021 in den Vereinigten Staaten rund 108.000 Menschen an einer Überdosis Drogen, 17 Prozent mehr als im Jahr davor. Über 70.000 davon waren Opfer synthetischer Opioide.
Zum Vergleich: Das ist die komplette Bevölkerung einer Kleinstadt wie Detmold in Ostwestfalen.
Und in Deutschland?
Auch bei uns sind Fentanyl und Co. angekommen. Die Deutsche Aidshilfe warnt, denn auch hier bei uns wurden synthetische Opioide als gefährliche Beimengung in Heroin nachgewiesen. Das Anliegen ist dringlich: illegal hergestellte synthetische Opioide als Zusatz in anderen Substanzen sind auf dem Vormarsch, weil sie billig und einfach zu produzieren sind. Fentanyl, Nitazene und andere solche Substanzen wirken dabei sehr viel stärker als das Heroin selber. Während bei Heroin 200 Milligramm tödlich wirken, sind es bei Fentanyl schon 2 Milligramm (etwa so viel wie ein paar Salzkörner). Wenn Konsumierende nichts von der Beimengung wissen, sind sie daher in Lebensgefahr.
„Synthetische Opioide sind in Deutschland angekommen. Es ist nun höchste Wachsamkeit geboten. Internationale Erfahrungen zeigen: Viele Menschen könnten so ihr Leben verlieren. Die Bundesländer sowie die Kommunen müssen jetzt dafür sorgen, dass Drogenhilfeeinrichtungen und Konsumierende vorbereitet sind!“ Winfried Holz, Vorstand der Deutschen Aidshilfe
Gegenmittel?
Ja, dass gibt es tatsächlich. Ein sogenanntes „Notfallmittel“ bei Fentanylvergiftung. Ein Nasenspray. Naloxon heißt es. Es nimmt für kurze Zeit die grausame Wirkung von Fentanyl weg, sprengt den Stoff regelrecht hinaus aus den Rezeptoren, kann also in der Tat rechtzeitig gegeben das Leben retten. Und dann? Die Sucht bleibt bestehen, nach dem Vorfall wird der Süchtige wieder Drogen konsumieren, weil die Abhängigkeit dadurch ja nicht beseitigt wurde. Und wo ist der Sinn? Eine abhängig machende Droge mit einer anderen zu behandeln?
Die eine Frage, die immer im Raum stehen bleibt, ist … Cui bono?
Quellenangabe:
WHO Model List of Essential Medicines. (PDF) In: World Health Organization. Oktober 2013, archiviert vom Original am 23. April 2014; abgerufen am 22. April 2014 (englisch).