Cytotec wurde/wird in der Schwangerschaft häufig off-label eingesetzt, um die Wehen einzuleiten und den Gebärmutterhals zu weiten, obwohl es von der FDA aufgrund seiner abortiv wirkenden Eigenschaften als Medikament der Schwangerschaftskategorie X eingestuft wurde. Was bedeutet, dass die Risiken gegenüber dem Nutzen bei der Verschreibung des Medikaments bei schwangeren Frauen überwiegen. Die unerwünschten Nebenwirkungen sind auf dem Etikett aufgeführt, dennoch kommt es trotz Einfuhrstopp in Deutschland immer noch zum Einsatz – solange der Vorrat reicht. Eine abgewandelte Alternative gibt es auch schon. Wir schauen uns das einmal näher an!
➥ Autor: Barbara M. Thielmann
Voraberklärung zum Begriff „off-label“
Als Off-Label-Use oder Off-Label-Einsatz bezeichnet man den Einsatz eines Arzneimittels außerhalb der von den nationalen oder europäischen Zulassungsbehörden genehmigten Anwendungs-szenarien. Ein Off-Label-Use kann Indikationen, Patientengruppen, Applikationswege, Behandlungsdauer oder die vorgeschriebene Vor- oder Begleittherapie betreffen.
Der Hintergrund von „off-label-Produkten“
Grundsätzlich kann jedes Medikament vom Arzt off-label eingesetzt werden. Der Patient muss jedoch umfangreicher aufgeklärt werden. Die Herstellerhaftung für tödliche oder gesundheitlich erhebliche Schäden entfällt bei einem Off-Label-Einsatz, sodass der verordnende Arzt in vollem Umfang für eventuelle Schäden haftet (!). Ein Off-Label-Use wird daher in der Regel nur auf Basis von gültigen Leitlinien, allgemein anerkannten Empfehlungen oder wissenschaftlicher Literatur durchgeführt.
In vielen Fachgebieten gehört aber der Off-Label-Use zum medizinischen Alltag – insbesondere in der Pädiatrie1, da nur wenige Medikamente für die Behandlung von Kindern zugelassen sind (!). Ein Grund dafür ist, dass die für das Zulassungsverfahren notwendigen klinischen Studien mit hohen Kosten verbunden sind. Weitere, eigene Gedanken dazu sind erlaubt und eigene Recherchen erwünscht …
1 Off-Label-Use – Verordnungsfähigkeit von Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsbieten, Gemeinsamer Bundesausschuss, abgerufen am 31.03.2023.
Über Cytotec
Cytotec (generischer Name: Misoprostol) ist eigentlich ein Medikament zur Verringerung des Risikos von NSAID (nichtsteroidale Antirheumatika, einschließlich Aspirin) -induzierten Magengeschwüren bei Patienten mit hohem Risiko für Komplikationen durch Magengeschwüre, z. B. bei älteren Menschen und Patienten mit einer damit verbundenen schwächenden Krankheit. Allerdings wurde (wird?) es, wie weiter oben schon erwähnt, häufig auch als Weheneinleitungsmittel eingesetzt, jedoch ohne offizielle Zulassung. Sowas kennen wir auch von den COVID-Impfstoffen.
Maßnahmen der Regulierungsbehörden und der Industrie
August 2000: Searle, der ursprüngliche Hersteller von Cytotec, gab seinerzeit einen Brief an Ärzte im ganzen Land heraus, in dem es hieß: „Die Verabreichung von Cytotec auf jeglichem Weg ist bei schwangeren Frauen kontraindiziert, da es zu einem Schwangerschaftsabbruch führen kann. Cytotec ist nicht für die Einleitung von Wehen oder den Schwangerschaftsabbruch zugelassen“
2005: Die FDA veröffentlicht ein Patienteninformationsblatt, in dem die Öffentlichkeit über die Risiken im Zusammenhang mit der Verwendung von Cytotec bei Wehen und Geburt informiert wird. In dem Informationsblatt heißt es, dass die FDA Cytotec nicht zur Erweichung des Gebärmutterhalses oder zur Einleitung von Wehen zugelassen hat.
10. Juli 2015: Die FDA bekräftigte den Inhalt des Patienteninformationsblatts, in dem die Öffentlichkeit über die Risiken im Zusammenhang mit der Verwendung von Misoprostol bei Wehen und Entbindung informiert wird.
2006: Die Zulassung in Deutschland wurde zurückgezogen und das Medikament hierzulande vom Markt genommen. Allerdings hinderte das die Kliniken nicht, sich weiterhin auf dem Importweg mit Cytotec zu versorgen – und es weiterhin anzuwenden.
2021: Das Bundesgesundheitsministerium erwirkte schließlich einen Importstop, der im September 2021 in Kraft trat. Die drei Hauptimporteure von Medikamenten in Deutschland haben eingewilligt, Cytotec nicht mehr einzuführen. Das bedeutet, wenn alle Vorräte hierzulande aufgebraucht sind, wird Cytotec in der Geburtshilfe kaum mehr einsetzt. Das ist vermutlich ein schwacher Trost für alle Betroffenen, für die diese Maßnahme zu spät kommt.
Mit der Markteinführung des Medikaments Angusta (Misoprostol 25 Mikrogramm) steht für diesen Zweck nun seit September 2021 ein in der Geburtshilfe zugelassenes Medikament zur Verfügung. Zur Freude vieler Mediziner. Und wieder zu Lasten der Patienten? Bei solchem Vorgehen mit pharmazeutischen Mitteln, siehe auch wieder den Missbrauch von nicht eingetragenen Corona-Impfstoffen – die waren ja auch „off-label“ – schwindet das Vertrauen in den sogenannten Fortschritt auch bald beim letzten Gläubigen. Dass es nicht noch schneller geht, liegt an der leider sehr dünnen Information in den öffentlichen Medien. Meist kommt die Information nach dem „Vergehen“.
Fazit: Ein echtes Verbot von Cytotec gibt es also nicht. Wenn es Kliniken gelingt, das Medikament zu beschaffen, dürfen sie es weiterhin legal einsetzen. Es bleibt zu hoffen, dass Medizinier von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen.
Und der wahre Skandal ist, dass die Nebenwirkungen und Schädigungen ja bereits 10 Jahre vorher schon bekannt waren hier in Deutschland (in den USA schon länger). Das bedeutet, dass über zehn Jahre lang Mütter und ungeborene Kinder durch die Off-Label Anwendung von Cytotec in Gefahr gebracht wurden, obwohl die Zusammenhänge längst vermutet wurden! Ein sofortiges Verbot hätte sicherlich sehr viele der bis heute fast 500 Verdachtsfälle von Schäden durch (falsche) Cytotec-Anwendung in der Geburtshilfe verhindern können.
Noch skandalöser ist, dass dies ja nun beileibe kein Einzelfall ist! Wann wird sich das Bewusstsein gegenüber der Pharmaindustrie (die ja im Grunde ein Teil der Petroindustrie ist) ändern?
Die Nebenwirkungen von Cytotec
Zu den unerwünschten Wirkungen, die mit der Verwendung von Cytotec während der Wehen und der Entbindung verbunden sind, gehören, wie auf dem Etikett des Medikaments aufgeführt (!), folgende:
- Überstimulation der Gebärmutter
- Ruptur oder Perforation, die eine chirurgische Reparatur der Gebärmutter erfordert
- Hysterektomie oder Salpingo-Oophorektomie
- Fruchtwasserembolie (AFE)
- Starke vaginale Blutungen
- Zurückgebliebene Plazenta
- Schock
- Fötale Bradykardie
- Schmerzen im Becken
- Mögliche mütterliche Sterblichkeit oder fötaler Tod
- Schwerbehinderungen des Kindes
Kleine Pharmahistorie (nur Searle betreffend)
1888 (vor 136 Jahren) gründete Gideon Daniel Searle Searle in Omaha, Nebraska. Das Unternehmen wurde 1908 eingetragen und hatte seinen Hauptsitz 1941 in Skokie, Illinois.
Zwischen 1977 und 1985 war Donald Rumsfeld zunächst CEO und dann Präsident von Searle.1985 verhandelte er die Übernahme von Searle durch die Monsanto Corporation.
Ab 1979 war Robert B. Shapiro als Chefsyndikus für das Unternehmen tätig, wo er das Aspartam-Produkt von Searle unter dem Markennamen NutraSweet entwickelte.
1993 reichte ein Forscherteam der Searle-Forschungs- und Entwicklungsabteilung einen Patentantrag für Celecoxib ein, das von Searle entwickelt und am 31. Dezember 1998 als erster selektiver COX-2-Hemmer von der FDA zugelassen wurde. Die Kontrolle über dieses Blockbuster-Medikament wurde oft als Hauptgrund für die Übernahme von Pharmacia durch Pfizer genannt.
Im April 2000 wurde die Pharmacia Corporation durch den Zusammenschluss von Pharmacia & Upjohn (das aus einer früheren Fusion der Unternehmen Pharmacia und Upjohn hervorgegangen war) mit Monsanto und dessen Searle-Einheit gegründet. Das fusionierte Unternehmen hatte seinen Sitz in Peapack, New Jersey.
Im Jahr 2003 übernahm Pfizer Pharmacia und gab den Namen Searle auf, während Searle in vielen asiatischen und europäischen Ländern unter demselben Namen in verschiedenen Varianten weitergeführt wird.