„Man kann Äpfel nicht mit Birnen vergleichen“, weiß der Volksmund, aber diese Weisheit ist entstanden, bevor es die Lebensmittelindustrie gab. Heute sind Erdbeeren oft Äpfel oder Rosinen gewesen. Gezaubert und gehext wird nicht nur mit den Inhalten, sondern auch mit den Verpackungsbildern. Wir decken die Zaubertricks auf: Manege frei für das Thema „Umfruchten“.
➥ Autor: Andreas Müller-Alwart
- Die Weltgesundheitsformel – Band 1
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Ja – so heißt das tatsächlich im Fachjargon: Umfruchten bedeutet, dass auf Basis einer anderen Obstsorte oder eines Obstsortengemisches mit etwas Abrakadabra aus preiswerterem und gut verfügbarem Obst wie z. B. Rosinen oder Äpfeln eine Erdbeere wird – oder zumindest eine Masse, die wie eine Erdbeere schmeckt. Prima für die Industrie, denn diese Erdbeere ist kostengünstiger als ihre natürliche Verwandte und – das ist einer der Hauptgründe für das Umfruchten – sie ist ganzjährig verfügbar. Wer schon einmal Erdbeeren – eingemacht aus dem Glas oder schockgefroren aus dem Tiefkühlbeutel – genascht hat, der kann gut nachvollziehen: Weder vom Geschmack noch von der Konsistenz sind diese Früchtchen für eine solche Konservierung geeignet.
Umfruchten – so einfach gehts
Eine Packung handelsüblicher Rosinen wird erst einmal kräftig gewässert, was den Rosinen den Eigengeschmack entzieht. Dann wird das Wasser aus der Masse herausgepresst. Eine vergleichbare Masse Erdbeeren hätten etwa das Fünffache dessen gekostet, was jetzt als Obstmasse aus den Rosinen gewonnen wird. Zu der Erdbeermasse sollten sich jetzt noch getrocknete Apfelstücke hinzugesellen. Die haben kaum Eigengeschmack, aber den großen Vorteil, dass sie wie ein Schwämmchen Flüssigkeit aufnehmen können. Und diese Flüssigkeit kommt nun als Rote-Beete-Saft hinzu. Ebenfalls günstig und jederzeit verfügbar. Fertig ist das Umfruchten.
Ach nein – da fehlt doch noch was. Genau, wir brauchen ja noch Erdbeeraroma. Das gibt es als Pulver aus der Tüte oder als Tröpfchen aus dem Aromafläschchen; oder als roten Farbstoff mit Erdbeergeschmack. Die Anbieter und Angebote sind vielseitig. Hier ein Beispiel – keineswegs als Anbieterempfehlung – sondern als Einblick in die Produktvielfalt gedacht: Fruchtpulver
Die so erzeugte Masse wird verrührt und wer noch etwas Erdbeersirup hinzufügt, der hat schon eine „Erdbeermasse premium“ vor sich, die unwiderstehlich duftet. An Äpfel und Rosinen denkt da jetzt keiner mehr. Die Masse lässt man richtig durchziehen – Apfelstücke und Rosinen saugen sie auf. Dann erfolgt erneut ein Trocknen. Die getrockneten Stückchen wandern dann als Erdbeerstückchen in Müslis, Müsliriegel, Schokoladen und wohin auch immer.
Das darf doch wohl nicht wahr sein?
Nun wird der ein oder andere sagen: Das ist doch Betrug! Das darf doch wohl nicht wahr sein? Das kann ja nicht legal sein? Vorne auf der Verpackung sind die knackigsten Erdbeeren der Welt abgebildet und dann ist der Müsliriegel selbst gefüllt mit Äpfel- und Rosinenmasse? Das dachten Verbraucherschützer und Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg sieht darin auch einen „Etikettenschwindel“ (1). Die Verbraucherzentrale hatte – bereits im Jahre 2011 – sich mit diesem Thema ausführlich beschäftigt. Auf ihrer Website findet sich eine Übersicht über die vorgefundenen Täuschungen und ein paar interessante Produktbeispiele. (2) Die Verbraucherschützer vergleichen diese Umfruchtungen sogar mit Formschinken bzw. Formfleisch: „Ähnlich wie beim Formfleisch und Klebeschinken werden bei Formfrüchten einzelne Fruchtstücke aus Fruchtmus zusammengefügt, mit Pflanzenextrakten gefärbt und aromatisiert.“ (2)
Und das ist wirklich alles legal?
Die Verbraucherschützer haben dies gerichtlich klären lassen und sind letztlich vor dem Oberlandesgericht Dortmund gescheitert: „Der Verbraucher wird in der Sortenbezeichnung in erster Linie den Hinweis auf eine Geschmacksrichtung sehen“, so die Begründung vom Oberlandesgericht für seine Entscheidung (4). Offensichtlich wurde hier überhaupt nicht bewertet, dass viele Verbraucher aufgrund der Verpackungsabbildungen selbstverständlich davon ausgehen, dass auch – zumindest in nennenswerten Anteilen – die abgebildeten Früchte enthalten sind. Davon gehen ja wohl auch die Hersteller aus, andernfalls könnten sie sich die Abbildungen sparen. Doch ganz offensichtlich sind diese werbewirksam. Und weiterhin offensichtlich gehen die Richter in ihrer Einschätzung davon aus, der Verbraucher könne sich ja über die Zutatenliste selbst informieren, was enthalten ist. Dies ist nicht völlig von der Hand zu weisen, aber vermutlich nicht sehr lebensnah.
Freie Hand für die Früchtchen in der Industrie
Übrigens. Selbst wenn ein Müsliriegel de facto mit echten Erdbeeren hergestellte wurde und für die Zutaten mit * versichert wird, dass es sich um Rohstoffe aus kontrolliert biologischem Anbau handelt, so zeigt ein Blick auf die Detailliste vor allem eines: Gesund kann das eigentlich nicht sein. Hier die Zutaten eines vielversprechend klingenden Müsliriegels mit der vielversprechenden Benennung „Organic Müsli Snack“:
Getreideerzeugnisse* (47,00%) (Haferflocken*, Weizenmehl*, Maisvollkornflakes*, Reismehl*, Hafermehl*), Glucosesirup*, Honig*, Palmfett*, Rohrohrzucker*, Erdbeersaftkonzentrat* (4,00%), Erdbeeren* gefriergetrocknet (2,00%), Rübenzucker*, Meersalz, Magermilchpulver*, Gerstenmalzextrakt*. (4)
Satte zwei Prozent gefriergetrocknete Erdbeeren enthält der Riegel und die doppelte Portion (4 %) Erdbeersaftkonzentrat: Immerhin keine „Fake-Früchte“ wie Äpfel oder Rosinen, dafür aber eine geballte Ladung süße Rohstoffe, die direkt wie Zucker wirken oder die wie Zucker verstoffwechselt werden wie z. B. Glucosesirup, Honig, Rohrohrzucker, Weizenmehl. Aus welchem Land diese Rohstoffe kommen, muss nicht deklariert werden und wird auch regelmäßig nicht deklariert: Das gilt auch für die gefriergetrockneten Erdbeeren und das Konzentrat. Und dieser Müsliriegel in unserem Beispiel ist noch einer mit einer überdurchschnittlichen Qualität.
Müsliriegel und Müslis: Am besten selber machen
Dennoch kann hier das Fazit zur lauten: Unter dem Deckmantel des nach gesunder Ernährung klingenden Begriffes wird eigentlich nur der Wunsch – ja die Sucht – der Verbraucher nach schnell verfügbarem und glücklich machendem Zucker befriedigt. Und aus welcher Plantage das Palmfett kommt, darf auch hinterfragt werden. Kontrollierter Anbau ist nicht gleichbedeutend mit nachhaltigem Anbau, sodass ernährungsökologisch betrachtet, diese Art von „Müsli-Snacks“ von der eigenen Einkaufsliste verbannt werden sollte.
Wer aber für den kleinen Heißhunger zwischendurch nicht auf den rohen Brokkoli oder die Karotte zurückgreifen mag, sondern sich einen gesunden Energieschub leisten möchte, der kann Müsliriegel aller Art recht einfach und lecker selber herstellen. Es finden sich Tausende von Rezepten für selbstgemachte Müslis aller Varianten und hunderte Ideen für Müsliriegel im Internet. Schon mit einer Handvoll Rosinen, zerkleinerten Nüssen, etwas Honig, verlaufener Bitterschokolade und etwas (angedicktem) Fruchtsaft lassen sich Müslimassen herstellen, die man einfach nur auf dem Backpapier aufbringt und trocknen lässt – z. B. bei niedriger Temperatur im Backofen. So wirst Du selbst zum Zauberkünstler und kannst an Zutaten hineinzaubern, was gesund, nachhaltig und Dir bestens bekannt ist. Vor allem mit Kindern macht das Zubereiten so viel Spaß wie die Weihnachtsbäckerei.
Quellen:
- Zitat Verbraucherzentrale Hamburg https://www.youtube.com/watch?v=jyn_MFPkAds, 09.02.2022, ca. Minute 4
- Produktbeispiele (PDF) der Verbraucherzentrale Hamburg, 09.02.2022.
https://www.vzhh.de/sites/default/files/medien/167/dokumente/11-03_vzhh_Marktcheck_umfruchten_Tabelle_1.pdf
Zutatenliste des Riegels laut Website vom 09.02.2022:
http://das-ist-drin.de/Rapunzel-Organic-Muesli-Snack-104-g–421608/ - Zitat: https://www.wir-essen-gesund.de/umfruchten/
- Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 24.09.2013, Aktenzeichen I‐20 U 115/12
Videos:
(1) SWR Marktcheck „Vorsicht, Verbraucherfalle! Die Frucht-Lüge der Lebensmittelindustrie“ YouTube 09.02.2022