Ehrentag des Unkrauts: Du bist es nicht wert, hier zu sein

„Traue keinem Garten, in dem kein Unkraut wächst.“ Der heutige Ehrentag des Unkrauts ist eine fantastische Gelegenheit, um seine eigene Sichtweise auf die Kräuter einmal zu überdenken: Lassen sich Heil-, Wild- und Unkräuter wirklich so strikt voneinander trennen? Und wie bedroht sind die sogenannten Unkräuter – z. B. durch die Gentechnologie?

Autor: Andreas Müller-Alwart

Buchtipp: Geliebtes Unkraut

Was zum Teufel hat sich der liebe Gott eigentlich dabei gedacht, als er uns zu all den leckeren Nutzpflanzen, diese blöden Unkräuter geschenkt hat? Ja gewiss: Es gibt sie, diese Unkräuter, die – wie z. B. die Brombeere – auch gewisse Vorteile bei sich haben. Die leckere, reife Brombeere schmeckt nicht nur fein, sie ist auch eine Vitamin-C-Bombe. Aber – lieber Gott – doch alles in Maßen – nicht in Massen. „Mögen die Brombeeren Deinen Garten überwuchern“, ist eine Verfluchung, die jeder Einwohner Korsikas kennt. Nun: Bei der Schöpfung der Erde gab es nur Eins. Alles fließt, alles ist mit allem verbunden, alles darf sein, alles hat seinen Sinn. Ungeziefer, Untiere und Unkräuter – diese Differenzierung ist eine rein menschliche, eher sogar eine unmenschliche, denn wer anderes als Gott selbst müsste man sein, um zwischen Menschen und Unmenschen, zwischen Tieren und Untieren und Kräutern und Unkräutern unterscheiden zu können? Am heutigen Ehrentag des Unkrauts ein nachdenklicher Blick auf unsere Sicht auf diesen Teil der Natur.

Foto: @andreeas via Twenty20

Was ist denn bitte ein Unkraut?

Den Ehrentag des Unkrauts gibt es seit 2003. Dieser weltweit gültige Ehrentag hat seinen Ursprung einmal nicht durch eine Institution oder gelenkte Initiative, sondern ist aus dem Blog einer Garteninitiative entstanden und hat sich seitdem erhalten. Aber es sei erst einmal geklärt, was denn überhaupt ein Unkraut ist. Mit der Umweltbewegung der 80er Jahre wurde Unkraut als abwertender Begriff erkannt und es gab den Versuch, diese als Wildkräuter zu benennen. Der Schuss ging ein wenig nach hinten los, denn Wildkräuter, wie auch Heilkräuter, sind eben ganz besondere Kräuter. So hat sich diese verbale Rehabilitation nicht durchgesetzt. Unkraut gilt als etwas, das wächst, obwohl es da, wo es wächst, nicht wachsen soll. Die Brennnessel zum Beispiel darf sich gerne in Richtung Nachbargarten breit machen und verbrennt unerwünschte Gäste am Rande. Gleichzeitig wird die Brennnessel als vitamin- und mineralstoffreiche Pflanze auch nur bedingt als Unkraut betrachtet. Macht sie sich allerdings zwischen den Himbeersträuchern breit, ändert sich rasch die Sichtweise … Merke also: Als Unkraut wird man nicht geboren, sondern beizeiten auserkoren.

Was hat Tradition am heutigen Tage?

Genau darum geht es am Ehrentag des Unkrautes. Es geht darum, auch diese Pflanzen einmal „zu umarmen“, liebzuhaben, auch deren Schönheit zu entdecken: Wie wäre es einmal mit einem Fotowettbewerb rund um das hübscheste Unkraut? Die Ergebnisse wären sicherlich beeindruckend. Ein anderer Brauch an diesem Ehrentag ist, sich einmal das ein oder andere Unkraut vorzunehmen, um zu recherchieren, was es für Eigenschaften hat. Nehmen wir z. B. den Giersch, der wie wild und eben nicht in Maßen, sondern in Massen zwischen den geliebten kultivierten Pflanzen wuchert. Dort ist er ein Unkraut, aber mit dem Auge eines Rohköstlers oder eines Wildkräuterfreundes betrachtet, wird er zu einer Köstlichkeit, die im Salat sehr schmackhaft ist. Diesem Geißfuß, wie Giersch auch genannt wird, wird sogar nachgesagt, er sei eine Alternative zu Spinat. Der eine mags, dem anderen grauts, aber gesund ist er nun einmal. Und, um die Verwirrung komplett zu machen: Podagrakraut – der dritte Name des Giersch – ist auch noch ein Heilkraut. Er gilt als traditionelle Heilpflanze bei rheumatischen Erkrankungen. Potzblitz: Da hat sich der alte grauhaarige Schöpfer wohl doch was dabei gedacht?

Foto: @christening via Twenty20

Unkrautzupfen als Strafarbeit

Bei aller Witzelei: Wenn der Hartplatz, also der Bolzplatz, an der Schule wieder einmal mit vielen Unkräutern überzogen war, durften die Schülerinnen und Schüler einen Teil des Sportunterrichts damit verbringen, das Kraut herauszurupfen. Das war weniger eine ökologische Lernmaßnahme noch eine Strafarbeit, nein, dies diente der gesundheitlichen Prophylaxe. Auf dem Hartplatz durfte kein Unkrautvernichtungsmittel versprüht werden, denn bei offenen Wunden verzögerten diese die Wundheilung. Vielleicht liegt es auch daran, wenn Unkraut bei manchen Zeitgenossen eher unerfreuliche Erinnerungen hervorruft. Über Wildkräuter und Heilkräuter hingegen wurde im Sportunterricht rein gar nichts, im Biologieunterricht nur etwas Theorie gelehrt. Wie soll man da wissen, wie Giersch aussieht, schmeckt und ob er Heilpflanze, Wildkraut oder Unkraut ist.

Herr über Leben und Tod

Der Gärtner – und natürlich auch die Gärtnerin – ist Herr bzw. Herrin über Leben und Tod – jedenfalls im eigenen Garten. Diese Pflanze darf dort wachsen, aber nur dort. Jenes darf gar nicht sprießen. Das eine wird gefördert, das andere aus dem Garten befördert. Mit dem Einsatz der Unkrautvernichtungsmittel findet diese Differenzierung zunächst nicht statt. Da wird – gewissermaßen – mit der Gießkanne die vom Unkraut befallene Fläche begossen und vernichtet, was da sprießt und rankt. Sowohl Gärtner als auch Landwirte erklären, dies geschehe mit Bedacht und Umsicht. Fakt ist aber: Je mehr Unkrautvernichtungsmittel (Herbizide) eingesetzt werden, desto mehr Herbizidresistenzen sind zu beobachten.

Foto: @twenty20photos via envato.elements

Resistenzen nehmen stark zu

„Besonders viele Herbizidresistenzen traten im Jahr 2014 in den USA auf, gefolgt von Australien und Kanada. Studien gehen davon aus, dass der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen das Auftreten diverser Resistenzen verstärken kann. In den USA werden weltweit am meisten Flächen mit gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut – im Jahr 2013 waren es insgesamt rund 70 Millionen Hektar“, schreiben die Autoren der Internetplattform Statista dazu. Je mehr Resistenzen, desto größer wird der Aufwand für die Landwirte von Jahr zu Jahr, den unerwünschten Pflanzen noch Herr zu werden. In deutschen Bau- und Gartenmärkten, also außerhalb der kommerziellen Landwirtschaft, werden ebenfalls Unkrautvernichter weiterhin in hohem Umfang eingesetzt. 37 Prozent des Umsatzes machen sie dort aus. Immerhin geht die Produktionsmenge in Deutschland seit den 90er Jahren zurück und liegt bei etwa 18.000 Tonnen pro Jahr. (1)

Es gibt 145 bekannte Herbizidresistenten in den USA, 70 in Australien und 60 in Kanada. China, Brasilien, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien bewegen sich zwischen 30 und 40 Resistenzen. Ein durchaus bedenklicher Trend.

Unkräuter auch gentechnisch bedroht

Während also beim Otto-Normal-Verbraucher, aufgrund der Diskussion um das Bienen- bzw. Insektensterben, weniger Herbizide zum Einsatz kommen, droht den „Unkräutern“ von anderer Seite ein Unheil, auf das dann der einzelne Landwirt oder Gärtner keinen Einfluss mehr haben dürfte. Die DAPRA, das ist ein Forschungszweig des Pentagon, und die Bill & Melinda Gates Foundation forschen daran, das Thema Unkraut nachhaltig anzugehen. Sie wollen das Thema an der Wurzel anpacken. Dazu will man mit der Genschere (CRISPR) arbeiten, um gezielt Pflanzen zu vernichten. Leider gibt es einige Länder, die diese Methode zulassen, und leider wissen die so manipulierten Gene nicht, wo die politischen Landesgrenzen sind. Einmal freigesetzt, sind sie nicht mehr rückholbar und dürften sich weltweit verbreiten.

Foto: @bilanol via envato.elements

Superunkraut Amaranthus palmeri

Das Schweinegras (Amaranthus palmeri) hat sich – aus Sicht einiger Landwirtschaftsexperten zum Superunkraut entwickelt. Dabei kann das Kraut gar nichts für seine Super-Verbreitung, wie auch Wikipedia bestätigt: „Amaranthus palmeri ist in Nordamerika ursprünglich vom Südwesten der USA bis in den Norden Mexikos verbreitet. Von hier aus hat sich Amaranthus palmeri durch menschliche Einflussnahme und Verschleppung, insbesondere in Äckern, stark ausgebreitet. So trat sie ab 1962 in Arkansas, ab 1963 in Nebraska, ab 1966 in South Carolina, ab 1967 auch in Florida auf.“ Und nach dem Motto: „Wo Du Dich wohlfühlst, da lass Dich nieder“, blieb das Schweinegras für immer. Mittels Genschere will man nun Teile der Pflanzengene so durch neue ersetzen, dass man Herr der Lage wird und sich Amaranthus palmeri nicht mehr so stark vermehrt – die Methode ist als „gene drive“ bzw. Genantrieb bekannt. Es geht mal wieder um die große Sache, um die Ernährung der Weltbevölkerung und den Schutz der Kulturpflanzen.

Nein, darum geht es am Ende nicht wirklich. Es geht um Profit. Die Technologie ist da, der Mensch kann eingreifen und er tut es auch. Was künstlich erzeugt wird, kann patentiert werden bzw. hat einen menschlichen Erfinder, ist nicht mehr Gemeingut. Bei einem Genantrieb, der hier verwendet werden soll, wird nach einer Genfolge gesucht. Wird diese gefunden, wird sie herausgeschnitten und durch eine andere Genfolge ersetzt, immer in dem Glauben, dass dieses Gen exakt die tauschende Eigenschaft beschreibt. Spätestens mit den Erkenntnissen der Epigenetik ist aber bekannt: Gene haben situativ unterschiedliche Eigenschaften bei sich – die Natur ist viel zu komplex für solche linearen Eingriffe. Doch das ist gar nicht das eigentliche Problem, sondern die Befürchtung besteht, der Genantrieb könne auch in anderen Amaranth-Arten wirksam werden.

Foto: @Nikolaydonetsk via envato.elements

Amaranth ist aber kein (Super-)Unkraut

In den USA ist die Sichtweise auf Amaranth: Unerwünschtes Unkraut, das wuchert und nervt. Aber „verwandte Amaranth-Arten werden in Mexiko, Südamerika, Indien und China als Nahrungsmittel angebaut.“ (2) Mehr noch: Amaranth ist ein Super-Nahrungsmittel! „Von den Hängen des Himalayas über die Ebenen Nord-, Zentral- und Südindiens bis hin zu den Küstenlinien des Ostens, Westen und Südens ist der Amaranth lebenswichtig. […] Seine Blätter enthalten mehr Eisen als Spinat und haben einen viel feineren Geschmack“, erklärt die aus Indien stammende Buchautorin und Naturschützerin Vandana Shiva und fährt fort: „Ein Kilogramm Amaranthmehl, das einem Kilogramm raffinierten Weizenmehl beigemischt wird, erhöht seinen Eisengehalt von 25 Milligramm auf 245 Milligramm.“ (2) Amaranth ist zudem reich an Proteinen, komplexen Kohlehydraten und enthält mit 12 bis 18 Prozent mehr Eiweiß als andere Getreidearten – darunter wertvolle Aminosäuren wie das L-Lysin. Auch für alle, die auf Milchprodukte verzichten, ist Amaranth ein interessantes „Unkraut“, es enthält viel Kalzium – etwa das Fünfzehnfache wie raffiniertes Mehl.

Der Ehrentag des Unkrauts ist also nicht nur ein wunderbarer Tag, die heimischen Unkräuter zu umarmen, sondern sich auch darüber bewusst zu werden, was wir alles verlieren, wenn wir die Natur so falsch interpretieren, so unvorteilhaft in Gut und Böse unterteilen. Es ist ein wunderbarer Tag, um einmal Ausschau danach zu halten, was uns die Natur an Kräutern kostenlos und bislang unbeachtet zur Verfügung stellt. Wer jetzt auf den Geschmack gekommen ist, der findet bei Welt der Gesundheit.TV. selbstverständlich auch ein paar praxisnahe Tipps für Wildkräuter-Bowls und einen speziellen Bericht zum Thema Brennnesseln.

Quellen- und Literaturverzeichnis:

  1. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/325537/umfrage/anzahl-der-herbizidresistenzen-bei-unkraeutern-weltweit/ (Stand: 07.03.2022)
  2. S. 107ff, „Eine Erde für alle“, Aufstehen gegen die Monokultur von Wirtschaft und Weltsicht, Vandana Shiva, Verlag Neue Erde, 1. Auflage 2021

Weiterführendes / Videotipps:

  1. Brennnessel, Michael Rudolph
    https://weltdergesundheit.tv/die-brennnessel-eine-ungeahnte-heilpflanze/
  2. Schmecken mit allen Sinnen – Heimische Wildkräuterbowl
    https://weltdergesundheit.tv/heimische-wildkraeuter-bowl/
  3. Wildkräuter entsaften und fit in den Tag
    https://weltdergesundheit.tv/bewusst-kochen-gemuese-wildkraeuter-saft/
  4. Essbare Wildkräuter sammeln im März / April (mehrteilige Serie von Martina Merz)
    https://www.youtube.com/watch?v=lJhzIcYsfFU

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