Einsamkeit ist nicht nur etwas Betrübliches für viele – oft ältere Menschen – sie macht Angst, verursacht Stress und am Ende krank. Heilung verspricht hier das respektvolle Zusammenleben zwischen Alt und Jung. Die Vorteile dieser generationenübergreifenden Gemeinschaft erleben gerade zu Recht eine Renaissance. Dabei profitiert die Gesundheit von Jung und Alt gleichermaßen.
➥ Autor: Andreas Müller-Alwart
Ältere Menschen leben oft isoliert
Mit dem Wegfall des generationenübergreifenden Wohnens in Familien sind viele ältere Menschen isoliert worden. Weder ist es besonders beliebt noch ist passt zu den Ansprüchen an das „moderne“ Leben, ältere im gemeinsamen Haushalt zu haben. Besonders dann nicht, wenn diese pflegebedürftig sind oder aus anderen Gründen mehr Aufmerksamkeit und Zeit beanspruchen. Wie sehr die Familienstrukturen zersplittert sind, machte auch die Zeit des Lockdowns deutlich. Ältere in den Alten und Pflegeheimen waren noch mehr isoliert, aber auch jüngeren innerhalb der Familien fehlten die Resonanz mit Freunden und älteren Verwandten. Daraus resultieren Ängste, z. B. die Sorge völlig auf sich gestellt zu sein oder nicht verstanden, nicht wertgeschätzt zu werden. Dauern solche Phasen der Einsamkeit und Ängste längere Zeit an, entsteht ein Dauerstress, der wiederum dazu führt, dass der Körper nicht mehr ausreichend Zeit hat, um Heilungsprozesse durchzuführen. Die Folgen von Einsamkeit sind Entzündungen, die zunächst gar nicht auffallen können, schlimmstenfalls aber bis zu schweren Erkrankungen führen.
Heilung durch Gemeinschaft
Durch Freude, wertschätzende Gemeinschaft und den generationsübergreifenden Austausch, gewinnen Alt und Jung wieder an Resonanz und Wertschätzung. Freude und das Gefühl, verstanden zu werden und aufgenommen zu sein, führen zu wieder zu besserem Schlaf, zu einem sorgenfreien und angstfreien Leben und somit zu längeren und intensiveren Phasen für Selbstheilungsprozesse. Studien haben bereits einige Male belegt: Es sind mindestens zwei bis drei Lebensjahre, die so gewonnen werden. Sie werden nicht nur gewonnen, sondern mit mehr Lebensqualität angereichert.
Die Möglichkeiten, Alt und Jung wieder näher zusammen zu bringen, sind mannigfaltig. Was hier bereits alle geschieht, ist oft nicht allgemein bekannt. Die einfachste Idee ist das Vernetzen von Jung und Alt. Eine entsprechende Suche im Internet zeigt erstaunlich viele „Netzwerke Jung und Alt“ – und zwar nicht nur bundesweit, sondern europaweit, ja sogar weltweit. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Kooperationen zwischen Schulen und Altenheimen, gegen die Einsamkeit. Nur ein Beispiel: In Mainz arbeiten seit vielen Jahren ein Gymnasium und ein Altenheim in der Weise zusammen, indem sich Teenager verpflichten zwei Stunden pro Woche im Altenheim zu gewinnen. Nach anfänglicher Skepsis möchten weder die Heranwachsenden noch die Älteren dies vermissen.
Gegenseitiger Halt
In den Kontakten findet ein gegenseitiger Halt statt. Die Jungen erfahren von den Älteren aus einer früheren Welt und die Älteren erleben einen Teil der Welt der heutigen Jugend mit. Je nach Gemeinschaft gibt es natürlich Smartphone- und PC-Hilfe, Tauschringe, Erzählcafés und viele andere mehr. Ein besonders integrierendes Beispiel war die Idee, in einem Altenheim im Erdgeschoss einen Kindergarten einzurichten. Allein durch das Beobachten der fröhlich ungezwungen spielenden Kinder von ihren Balkonen und Fenstern, erblüht die Lebensgemeinschaft der Alten. Im Laufe der Jahre beobachtete die Heimleitung einen – gleichermaßen erfreulichen wie erschreckenden – Trend: Wenn der Kindergarten ferienbedingt geschlossen hatte, so stieg die Todesrate deutlich an im Vergleich zu dem Zeitraum, in dem die Kinder präsent waren.
Zurück in die Jugend
Wie sehr das Umfeld auf Menschen – gerade auf Ältere – einwirkt, ist in einem recht bekannten Experiment untersucht worden. Testweise hatte man für eine Gruppe eines Jahrganges Räumlichkeiten historisch so eingerichtet wie zur Zeit, als diese Senioren jung waren. Nicht nur Möbel und Accessoires wurden so eingerichtet, sondern es wurden auch die Musik dieser Zeit eingespielt und die Küche präsentierte Gerichte von damals. Man maß das biologische Alter der Senioren anhand einiger Gesundheitsparameter vor und dann während des Experiments. Das Ergebnis war verblüffend: Die Senioren hatten eine viel höhere Vitalität, viel weniger Entzündungsmarker und ihr biologisches Alter hatte sich um viele Jahre, teilweise ein Jahrzehnt verbessert. Die Körper der Senioren wurden quasi teilweise entsäuert – ihr Leben wurde versüßt.
Heilung durch Gemeinschaft, durch generationsübergreifendes Erleben und Wohnen, ist also etwas, das hilft. Jeder kann sich jederzeit entscheiden, sein Augenmerk mehr hierauf zu richten. Generationenübergreifende Wohnmodelle entwickeln sich gerade stark: Alte Bauernhöfe, Bürogebäude, Mehrfamilienhäuser werden umgestaltet oder zu diesem Zweck neu errichtet. Es hat den Anschein, als ob der einst von Frank Schirrmacher angekündigte Krieg der Generationen, eher zu einer friedlichen Koexistenz und Kooperation führt. Der Effekt auf die Gesundheit des Einzelnen wie auch auf die Kosten des Gesundheitswesens dürfte beachtlich sein.
Rückkehr weiblicher Werte
Es kommt noch ein weiterer, gesellschaftlicher Gesundheitseffekt hinzu. Viele Frauen – vor allem gut ausgebildete Frauen – haben oft keine Kinder mehr und haben natürlich weniger Zeit für die Familie. Damit befinden sich die typisch weiblichen Werte in diesem Umfeld gewissermaßen auf dem Rückzug. Dies kehrt sich in den übergreifenden Generationsprojekten teilweise um. Frauen sind hier oft federführend. Damit kehren die weiblichen Werte wieder zurück. Diese sind Kooperation statt Konkurrenz, Gemeinsamkeit statt Einsamkeit, Dialog statt Streit – also klassische Werte eines Buddhismus, des Christentums wie auch vieler anderer Religionen auch. Der Weg zu eigenen Gesundheit zeigt also offensichtlich auch den Weg zur Gesundheit der Gesellschaft als Ganzes.