Der Ukrainekrieg macht wütend, aber der Krieg in unseren Herzen tobt oft in ähnlicher Weise. „Wer keinen Frieden in sich selbst gefunden hat, kann nicht zum Friedenswerkzeug werden.“ (1) Was können wir tun? Achtsamkeit ist der Schlüssel: Die Grundregeln des buddhistischen Glaubens könnten uns helfen, endlich nachhaltigen Frieden auf Erden zu schaffen.
➥ Autor: Andreas Müller-Alwart
95 Jahre ist Thich Nhat Hanh geworden, als er am 14. Februar 2022 verstarb. „Ein hohes Alter“, sagen die einen, „viel zu früh ist er von uns gegangen“, sagen die anderen. Seine Bücher, sein ganzes Lebenswerk sind der Achtsamkeit gewidmet gewesen. Völlig zu Recht. Achtsamkeit ist der Schlüssel für fast alles im Leben. Wer achtsam im Hier und Jetzt ist, den schmerzen keine Erinnerungen der Vergangenheit und den peinigen keine Ängste vor der Zukunft. Wer achtsam in einem Gespräch ist, der hört seinem Gegenüber wertschätzend und aufmerksam zu, der respektiert andere Ansichten und der achtet darauf, selbst genügend Freiraum zu haben wie er auch anderen genügend Freiräume zugesteht. Gibt es irgendeinen Konflikt, irgendeinen Krieg auf dieser Welt, in dem nicht zu Beginn die fehlende Wertschätzung, die fehlende Achtsamkeit und das Einschränken des Freiraumes der anderen die Ursache gewesen wäre? Wohl kaum.
„Peace in oneself – Peace in the world“
In der Naturwissenschaft gilt die Erkenntnis: „Wie innen – so außen.“ Thich Nhat Hanh hat dies übertragen auf „Frieden in Dir – Frieden in der Welt.“ Wie soll das gehen? Kann das funktionieren? Ja – das tut es. Die europäischen Religionen kennen das Gebet, um für Frieden in der Welt zu beten. Die asiatischen Traditionen kennen beispielsweise die Meditation als Mittel, um das Leben auf etwas Hoffnungsvolles, Erstrebenswertes auszurichten und um sich selbst in Achtsamkeit mit dem zu begeben, das die Türe zum friedvollen Höheren öffnet. Je mehr Menschen zu sich zurückfinden, desto weniger sind sie anfällig, gegen äußere Unruhe(-stifter). Je mehr Menschen sich miteinander respektvoll und meditativ verbinden, desto mehr Licht kommt in die Welt und desto mehr Frieden wird sein.
Die schwierigste aller Lebensaufgaben
Es ist die schwierigste aller Lebensaufgaben in der heutigen Zeit, zur Ruhe zu kommen, in der Präsenz zu sein. Nach wenigen Minuten der Meditation, rattert das Gehirn wieder fröhlich vor sich hin, darf wieder eingefangen und beruhigt werden. Nur selten ist der Mensch achtsam mit einer Sache beschäftigt, z. B. mit aufmerksamem Essen, ohne Fernseher, ohne Smartphone. Wie soll bei so viel Unruhe, Ruhe und Frieden in die Welt kommen? Achtsamkeit, so meinte Thich Nhat Hanh, sei die Kunst, in jedem Moment geistig präsent zu sein und in der Gegenwart zu leben. (2) Achtsamkeit stärkt positive Emotionen und schwächt negative Emotionen ab. „Durch eine regelmäßige Anwendung von Achtsamkeitsmeditationen könnte schließlich sogar die ‚Essenz der Dinge‘ erfasst werden.“ (2) Eine besondere Variante dieser Meditationen bietet der Zen-Weg des Buddhismus an. (Fortlaufende, kostenlose Einstiegs-Webinare gibt es hier: https://daishinzen.de/meditieren-lernen/ .)
Achtsamkeit zu erlernen, lohnt sich
Es ist ja einleuchtend: Wer sich selbst gegenüber achtsam und präsent ist, der lernt sich neu kennen: Habe ich wirklich gerade Hunger oder nur Gelüste und was brauche ich eigentlich wirklich? Warum fühle ich mich gerade so wohl oder unwohl? Was will ich also beibehalten oder was möchte ich gerne ändern? Wer achtsam und präsent ist, weiß ganz genau, was er will oder nicht will, was er braucht oder nicht braucht. Er lässt sich nicht mit anderen Themen und Sachen von seinem eigentlichen Leben ablenken, er ist weniger empfänglich für Verführungen aller Art, die ihn von seinem eigentlichen Lebensweg ablenken.
Thich Nhat Hanh hat viele Bücher geschrieben, die lesenswert sind, aber zwei sind gewissermaßen ein Muss: „Umarme Deine Wut“ (Knaur) und „Das Wunder der Achtsamkeit: Einführung in die Meditation“ (Kamphausen). Die über dreißig in diesem Buch vorgestellten, von ihm selbst entwickelten Achtsamkeitsübungen, bereichern das Leben jedes Menschen – sie machen das Leben erfahrbarer und lebendiger.
Die fünf Übungen um in die Achtsamkeit zu kommen.
Es gibt fünf essenzielle Übungen im Buddhismus, die zu Transformation in Richtung Glück und Heilung – des Einzelnen, aber eben auch der gesamten Welt – führen sollen. Sie sind ausführlich auf www.institut-achtsame-kommunikation.de aufgelistet. Hier eine Kurzfassung dieser buddhistischen Grundregeln, die immer in ICH-Form beschrieben werden und die der Autor Martin Pichler so zusammengefasst hat:
- Ich mache es mir zur Aufgabe, nicht zu Töten und keine Form des Tötens zu unterstützen, weder in der Welt noch in meinem Denken oder in meiner Lebensweise. Ich werde üben, Gewalt, Fanatismus und Dogmatismus in mir selbst und in der Welt zu transformieren.
- Ich mache es mir zur Aufgabe, nicht zu stehlen und nichts zu besitzen, was anderen zusteht. Ich werde meine Zeit, Energie und materiellen Mittel mit denen teilen, die sie brauchen.
- Außerdem mache ich es mir zur Aufgabe, mich in sexuellen Dingen verantwortungsbewusst zu verhalten. Keine sexuelle Beziehung, ohne wahre Liebe und die Bereitschaft zu einer Bindung.
- Ich mache es mir zur Aufgabe, wahrhaftig zu sprechen. Leiden entsteht auch durch unachtsame Rede und aus der Unfähigkeit, anderen zuzuhören.
- Ich mache es mir zur Aufgabe, Drogen und Süchte zu meiden. Ich achte auf meine körperliche und geistige Gesundheit.“ (2)
Fazit
Achtsamkeit führt uns zurück zu uns selbst und zu unseren wahren Bedürfnissen, macht uns weniger empfänglich für die vielen Ablenkungen, die uns nicht glücklich machen und uns nicht wahrhaft leben lassen. Die dadurch sinkenden Ansprüche bei gleichzeitig steigendem Respekt uns selbst und anderen gegenüber, führen zu einer friedvolleren Welt. Gebete und Meditationen helfen tatsächlich nicht nur uns selbst, sondern der gesamten Menschheit.
Wer also ratlos und ohnmächtig auf den erneuten Kriegsherd in der Ukraine schaut, der darf erkennen: Dieser Brandherd würde nicht befeuert werden, wenn jeder Einzelne von uns achtsam und mit sich im Einklang wäre. So sind wir eben auch nicht hilflos, sondern können aktiv werden – durch Achtsamkeitsmeditation. Das ist und war die Botschaft von Thich Nhat Hanh und diese Botschaft wird über den 14. Februar 2022, seinen Todestag, weiter gültig sein. Nicht umsonst heißt es auch in den europäischen christlichen Traditionen: „Friede sei mit Dir! Und mit Deinem Geiste!“
Quellenverzeichnis:
- Thich Nhat Hanh – 1926-2022; Thich Nhat Hanh, New Hamlet Buddha Hall (©Plum Village)
- „Trauer um den ‚Pionier der Achtsamkeit‘“, Zeitschrift „wirtschaft + weiterbildung“ Ausgabe April, 2022, Haufe-Verlag
- Webseite zum Zen-Weg des Buddhismus: www.daishinzen.de
- Webseite zu Achtsamkeitsübungen: www.institut-achtsame-kommunikation.de
- Veranstaltungen, weitere Hintergründe auf der Webseite des „Europäische Institut für angewandten Buddhismus“ https://www.eiab.eu/ueber-uns
Alle Webseiten aufgerufen am 08.05.2022.