Anders als Du vielleicht annehmen möchtest, ist die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) der Gegenwart keine seit Jahrtausenden dokumentierte, einheitliche Heilmethode – sie ist vielmehr in ihrer heute praktizierten Form eine erst seit wenigen Jahrzehnten an chinesischen Universitäten gelehrte Wissenschaft. Dennoch hat sie ihre Ursprünge weit vor unserer Zeit. Hier kannst du mehr darüber erfahren.
➥ Autor: Barbara M. Thielmann
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Henry Johannes Greten – Kursbuch Traditionelle Chinesische Medizin
TCM – Weisheit des Heilens
Die ältesten chinesischen Belege für eine mit System betriebene Heilkunde stammen aus dem 11. Jahrhundert v. Chr. In Gräbern aus der Zeit um 200 v. Chr. fand man schon Akupunkturnadeln und um 90 v. Chr. wird die Behandlung von Kranken (durch Akupunktur) schriftlich dokumentiert.
Im Gegensatz zum westlichen Wissenschaftsverständnis wurden bei der Entwicklung des Wissens in China ältere Ansichten nicht als überholt angesehen und verworfen, so wie das im Westen häufig (oder generell?) der Fall ist. In China wurde neues Wissen stets dem alten Wissen hinzugefügt. Daher ist die Geschichte der chinesischen Medizin weniger eine Abfolge verschiedener Denkmodelle. Sie ist eine ständige Erweiterung bereits vorhandener Erkenntnisse.
Die theoretischen Grundlagen der TCM
Die chinesische Medizin hat zwei Betrachtungsweisen. Einmal gibt es das Prinzip des Ying Yang und andererseits die Theorie der 5 Wandlungsphasen. Diese beiden Denkmodelle von den Erscheinungen der Welt und des Lebens wurden vor mehr als 2000 Jahren zu einem einheitlichen und sehr komplexen Ideensystem vereint, auf welchem die TCM, die du heute kennst, gründet.
Neben naturphilosophischen Betrachtungen spielen auch sozialphilosophische Sichtweisen und Morallehren eine Rolle. Du kennst diese Lehren unter den Bezeichnungen Konfuzianismus und Taoismus. Sie sind es, die in der chinesischen Medizin eine wichtige Rolle spielen. Nach deren Verständnis sind Gesundheit und Wohlbefinden des Einzelnen anhängig von einem harmonischen Leben in der Gesellschaft und der Natur.
Ihnen gemeinsam ist die Auffassung, dass der Mensch und alle anderen Erscheinungen der Welt (sogar die unbelebten) zum einen als in sich geschlossene Ganzheit gesehen wird, zum anderen aber auch als Teil eines großen Ganzen verstanden werden muss.
Auf dich bezogen: Du bist eine individuelle Bewusstseins- und Körpereinheit. Bist aber gleichzeitig in die Bewusstseinseinheit mehrerer Kollektive eingebunden. Deiner Familie, deiner Freunde und Arbeitskollegen, deines Volkes bis hin zum Kollektiv der Menschen. Denn wir sind eine Menschheitsfamilie, die diesen wunderschönen Planeten bewohnt.
PLUS und MINUS: wie unsere westliche Physik das östliche Weltbild stützt
Dieses Symbol beschreibt das Prinzip der Polaritäten. Die Pole sind zwar gegensätzlich, aber voneinander abhängig. Sie bedingen sich und gehen immer wieder ineinander über. Im Grunde wie bei der Lemniskate oder einer Möbiusschleife. Und damit ist auch schon klar, es ist kein statisch ausgependelter Zustand. Es ist immer eine Bewegung enthalten. Alles fließt – panta rhei.
Dynamische Polaritäten
Du kennst solche Polaritäten aus Deinem Leben: Tag und Nacht, Ebbe und Flut, Bewegung und Ruhe, Ein- und Ausatmen. In der Physik würde man sagen, Plus und Minus! Was dazwischen strömt, ist Spannung, Energie, einfach der Rhythmus des Lebens. Und die aus diesem Wechselspiel des Yin und Yang entstehende Lebensenergie nennt die TCM das Qi. Qi durchfließt alles Lebendige. Und Gesundheit definiert die TCM als ungestörten Fluss eben dieser Energie.
Die 5-Wandlungsphasen Theorie
Sie beschreibt in fünf Einheiten die Erscheinungen der Welt, die in einer ständigen Dynamik einander hervorbringen und beeinflussen.
Bitte anderes Bild für die 5 Phasen, das ist aus meinem TCM Buch und da ist sicher Copyright drauf. Nur als Hinweis, dass hier so ein Bild hin sollte.
Die diagnostische Methode der Chinesischen Medizin (TCM)
1. Ansehen
Wie ist z.B. die Beschaffenheit der Haut und Schleimhäute, was zeigt die Zunge (Zungendiagnostik)
2. Anhören
Atem und Stimme werden beurteilt
3. Befragen
Welches könnten auslösende Faktoren sein für das momentane Unwohlsein (Wind, Kälte, Hitze etc.)
4. Betasten
Ebenso wie in der westlichen Medizin berührt und tastet der Arzt ab. Hier kennen wir die Pulsdiagnose, durch die der erfahrene Heilkundige anhand der Länge, der Breite, der Tiefe, der Weichheit, der Härte oder der Abhängigkeit von der Atmung bis zu 30 verschiedene Pulsschlag-Kategorien in seine Bewertung einfließen lassen und entsprechende diagnostische Schlüsse ziehen.
Außen und innen: Dualität auch in der Entstehung der Krankheit
Die chinesische Medizin unterscheidet zwischen äußeren und inneren Faktoren.
Äußere Faktoren können sein:
- Wind
- Kälte
- Feuer
- Hitze
- Feuchte
- Dürre
Innere Faktoren können sein:
- Zorn
- Sorge
- Lust
- Trauer
- Zweifeln
- Grübeln
Wie geht die Therapie?
Äußere und innere Anwendungen einzusetzen, mit dem Ziel, den stetigen Fluss der Lebensenergie wieder herzustellen, die Störung auszugleichen und Blockaden aufzuheben. Dies mithilfe der sechs therapeutischen Bausteine.
Die sechs therapeutischen Bausteine der TCM sind:
- Atem – und Bewegungsübungen: Qi Gong, Tai Chi
- Natürliche Mittel: Tees, Kräuter, Mineralien,
- Ernährungslehre: planmäßiger Einsatz von Lebensmittel, 5-Elemete Küche
- Stimulieren bestimmter Hautareale: Tuina Massagen
- Reizen bestimmter Hautareale: Akupunktur mit Nadeln
- Erwärmung von Akupunkturpunkten: Moxibustion
Worin unterscheidet sich denn jetzt die chinesische Medizin von der westlichen Medizin?
Im alten China wurde von einem Arzt verlangt, die Anzeichen für eine aufkommende Krankheit zu erkennen, noch bevor der Patient einen schweren Schaden erlitt. Es wurden also nicht Heilungswunder erwartet, sondern frühzeitiges Erkennen, Prävention, um so den Krankenstand von vorneherein zu verhindern.
Denn die Grundannahme der chinesischen Medizin ist, dass alle beginnenden Krankheiten entsprechende Anzeichen an der Körperoberfläche aufweisen, der Arzt muss sie nur wahrnehmen. Schweißausbrüche, Pulsveränderungen, druckempfindliche Körperregionen, Veränderungen der Fingernägel, Zungenbeläge u.a. zählen zu diesen Anzeichen.
Anders in der westlichen Medizin: hier bauen die Diagnosen im Wesentlichen auf Laborwerten, Röntgenbildern etc. also auf messbaren Methoden auf. Dazu sei natürlich gesagt, dass ein Arzt, der noch in der Lage ist, ein Blutbild richtig zu lesen, durchaus eine ähnliche Einsicht in die Gesundheit seines Patienten hätte. Lassen sich bei den Werten keine Abweichungen von der Norm feststellen, kann keine Diagnose gestellt und folglich auch keine Therapie eingeleitet werden. Ein Manko.
Kurz gesagt:
Die westliche Medizin diagnostiziert Krankheiten vorwiegend durch Messungen der Abweichungen von statistisch erhabenen Standartwerten (Blutbild, Gewebe- und Organveränderungen)
Die chinesische Medizin (TCM) beobachtet und behandelt bereits im Vorfeld Funktionsstörungen, die oftmals noch nicht durch Labor- oder Röntgen-Untersuchungen festgestellt werden können.