Jungen sind anders als Mädchen. Sie zeigen häufiger Verhaltensauffälligkeiten und geraten öfter in Schwierigkeiten. Das hat Gründe. Der Hauptgrund ist die hormonelle Entwicklung, die bei Jungs deutlich fragiler und differenzierter ist und in drei Stufen abläuft. Was in ihren Söhnen wirklich abgeht, wissen (und verstehen) immer noch die wenigsten Eltern, denn eine Aufklärung diesbezüglich wird in der Schwangerschaftsvorbereitung leider nicht gelehrt. Was es also braucht, ist ein neues Verständnis von Jungen.
➥ Autor: Barbara M. Thielmann
Sind Jungen gefährdeter als Mädchen?
Heutzutage sind Mädchen deutlich selbstbewusster als Jungen. Die Stärkung der weiblichen Position in unserer Gesellschaft hat viel bewirkt. Deswegen beobachten wir, dass Mädchen motivierter und fleißiger sind als ihre männlichen Altersgenossen. Sie arbeiten fröhlich zusammen, während Jungen mehr herumlungern, viel mehr Zeit vor dem Computer bei Videospielen verbringen, sich mehr in „Horden zusammenrotten“ und nicht wirklich produktiv dabei sind. In der Grundschule fallen Jungseher durch schlechte Leistungen und Nachlässigkeit auf. Schon in der dritten Klasse lesen die meisten von ihnen keine Bücher mehr. Sprachlich zeichnen sie sich mehr durch Einsilbigkeit aus. Im Gymnasium fliehen sie eher vor Diskussionsrunden oder Aufgaben in der Schülermitverwaltung, oder sagen wir mal: vor allem, was nicht mit Sport zu tun hat, ob nun real oder virtuell. Sie geben sich eher lässig und „cool“.
Als Jugendliche sind viele Jungen dann beziehungsgestört und wissen nicht, wie sie sich bei den Mädchen beliebt machen können. Entweder sind sie extrem schüchtern oder betont aggressiv und oft gelingt es ihnen noch nicht einmal, das einfachste Gespräch anzuknüpfen. Aber wusstest du, dass Jungen mit 15 Jahren eine dreimal so hohe Gefahr haben wie Mädchen, eines frühen Todes zu sterben? Und zwar vor allem durch Unfälle, Gewalt oder Selbstmord. Dies sind Dinge, die erst in den letzten 10 Jahren entdeckt wurden. Und vieles davon kam heraus bei der Suche nach den Ursachen, warum deutlich mehr Jungen autistisch sind, als Mädchen.
Auch hat sich herausgestellt, dass die Modeerscheinung der letzten dreißig Jahre, männliche Werte zu leugnen und Jungs und Mädchen in einen Topf zu werfen, sich als grundlegend falsch erwiesen hat. Und das, was viele Eltern und Lehrer in den letzten Jahrzehnten intuitiv als falsch empfunden haben, hat sich dann doch wissenschaftlich bestätigt. Jungen sind tatsächlich – und zwar positiv – anders als Mädchen. Und nun ist es unsere Aufgabe, ihre heranwachsende Männlichkeit, wie auch immer sie sich äußert, zu verstehen, zu schätzen und sie nicht einfach zu unterdrücken.
Die 3 Stadien in der Entwicklung des männlichen Kindes
- die mächtige Wirkung der männlichen Hormone auf die Psyche des Jungen
- die Gehirnentwicklung des männlichen Kindes
- die Beziehungen des männlichen Kindes zur Mutter, Vater, Schule, Sport und Sexualität
Jungen sind großartig und können zu großartigen Männern heranwachsen, der Schlüssel dazu ist, die Komplexität ihrer Entwicklung mit Verstehen und Geduld zu begleiten. Und es muss unbedingt hervorgehoben werden, dass kleine Jungen deutlich mehr unter Trennungen von Eltern leiden, als Mädchen. Daher wird von Fremdbetreuung in den ersten drei Lebensjahren absolut abgeraten. Kinderkrippen oder ähnliche Einrichtungen sind für einen Jungen dieses Alters nicht von Vorteil. Studien haben nämlich ergeben, dass Jungen häufiger und heftiger unter Trennungsangst leiden und infolge von Verlassenheitsgefühlen dazu neigen, sich emotional abzukapseln. Das führt dann oft zu unruhigem und aggressiven Verhalten, was sich aber ganz leicht vermeiden lässt und die damit verbundenen späteren Folgeschäden auch.
Was Mütter wissen müssen
Jungen wachsen nicht einfach glatt und problemlos heran wie Mädchen. Und es genügt auch nicht, sie ausreichend zu füttern, die Wäsche zu waschen und darauf zu warten, dass sie eines Tages als Männer aufwachen. Es ist wichtig für die Eltern, aber ganz besonders für die Mutter, wann sie ihrem Jungen beisteht (beistehen muss!) und wann sie ihm Freiheit gewähren oder das Zepter an den Vater übergeben sollte. Wenn eine Mutter ihrem Sohn in frühen Jahren ihre Liebe und Zuneigung entzieht, geschieht nämlich etwas Furchtbares: um von seinem Kummer und seinem Schmerz nicht überwältigt zu werden, verschließt der Junge jenen Teil seiner Persönlichkeit, der ihn mit ihr verbindet – seine zärtlichen, liebevollen Regungen. Er empfindet es als schmerzhaft, Gefühle der Liebe zu empfinden, wenn sie nicht von seiner Mutter erwidert werden.
Wenn ein Junge diesen Teil seiner selbst verschließt, wird er als Erwachsener Schwierigkeiten haben, gegenüber seiner Partnerin oder seinen Kindern Wärme und Zärtlichkeit zu zeigen und sich verschlossen und kaltherzig verhalten. Wir alle kennen solche Männer (Chefs, Väter, Ehemänner), die emotional gehemmt auftreten und nicht mit Menschen umgehen können. Wir können aber dafür sorgen, dass unsere Söhne nicht so werden, indem wir sie des Öfteren in die Arme nehmen, um ihnen die Liebe, Sicherheit und Geborgenheit, die ein Jungenherz so dringend braucht, zu geben. Im Rahmen der Mode, die männlichen Werte mehr mit den weiblichen gleichzusetzen, haben wir leider verpasst, eine für die Bedürfnisse unserer Söhne geeigneten Plan zu deren Erziehung zu erarbeiten.
Daher ist das Wissen über die drei Stadien in der Entwicklung eines Jungen sehr hilfreich. Es ist absolut zeitlos und global gültig.
Es spricht einiges dafür, dass viele Probleme – besonders das bei Jungen verbreitete schlechte Benehmen, ihre Leistungsverweigerung in der Schule und ihre Konflikte mit dem Gesetz (wegen Alkohol am Steuer, Schlägereien) – darauf zurückzuführen sind, dass wir die Bedeutung dieser Stadien verkannt und nicht zum richtigen Zeitpunkt die entsprechende menschliche Unterstützung gewährt haben.
Der große Unterschied zwischen Mädchen und Jungen Entwicklung: Testosteron!
Der Fötus weist im Anfangsstadium der Schwangerschaft noch keine männlichen Merkmale auf. Vielleicht hast du es noch nicht gewusst und bist jetzt sehr überrascht, aber alle kleinen Lebewesen sind nach der Befruchtung zunächst weiblich!
Das Y-Chromosom, das aus einem Fötus einen Jungen macht, entfaltet seinen Einfluss erst später im Mutterleib. Es sorgt dafür, dass sich bei einem Jungen bestimmte Körperfunktionen entwickeln, andere hingegen nicht. Denn: ein Mann ist genau genommen eine Frau mit einigen Extras. Deshalb haben wir auch alle Brustwarzen, obwohl nicht jeder von uns damit etwas anfangen kann.
Die Testosteronzyklen
Etwas nach der 8. Schwangerschaftswoche werden die Y – Chromosomen aktiv und die erste Produktion von Testosteron im Leben den kleinen Jungen beginnt. Es entwickeln sich nun Hoden und Penis und auch im Gehirn (dem was später einmal Gehirn sein wird), finden leichte Veränderungen statt. Sind die Hoden einmal voll entwickelt, was am Ende der 15. Woche der Fall ist, produzieren auch sie zusätzliches Testosteron. Steht die Mutter in der Zeit ihrer Jungenschwangerschaft oft oder stark unter Stress, stockt die Testosteronproduktion und bei der Geburt sind die Geschlechtsorgane des Kleinen schwächer entwickelt, was jedoch überhaupt kein Problem darstellt. Denn nach der Geburt hat der kleine Säugling bereits genauso viel Testosteron im Blut wie ein zwölfjähriger Junge! Dadurch werden schnell kleine Wachstumsschwächen ausgeglichen. Ein paar Monate nach der Geburt sinkt dieser Spiegel wieder und pendelt sich während der Kleinkindphase auf einem niedrigen Niveau ein.
Mit vier Jahren verdoppelt sich dann der Testosteronspiegel wieder. Damit erwacht bei den kleinen Jungen das Interesse an körperlichen Aktivitäten, überall hinlaufen können und Ball spielen macht dem Kleinen und seinem Papa jetzt sehr viel Freude.
Mit fünf Jahren sinkt der Spiegel dann wieder um 50 Prozent, der Junge wird etwas ruhiger, rechtzeitig zum Schulbeginn.
Irgendwann zwischen dem elften und dreizehnten Lebensjahr steigt der Testosteronspiegel dann wieder steil an. Er liegt dann 800% über dem in der Kleinkindphase. In diese Zeit fallen nun auch plötzliche Wachstumsschübe, Verlängerung von Armen und Beinen, das Nervensystem muss quasi „neu anknüpfen“ bei dieser Geschwindigkeit.
WICHTIG: bei 50% der Jungen ist der Testosteronspiegel so hoch, dass ein Teil des Hormons in Östrogen verwandelt wird. Die Brust kann anschwellen und zärtliche Rungen können erwachen. Das ist normal und legt sich wieder. Es hat nichts damit zu tun, dass hier „ein Junge lieber eine Frau sein möchte“! Durch unsere fehlgeleitete Genderpropaganda können hier Wege beschritten werden, die nicht sinnvoll und zielführend für den Jungen sind. Und das nur, weil unsere Gesellschaft vollkommen fehlinformiert wird.
Hilfe, mein Junge hat seinen Verstand verloren…
Da das Gehirn sich dieser rasanten Umstellung durch das Testosteron anpassen muss, es zu einer regelrechten Reorganisation im Jungengehirn kommt, erleben wir dann als Eltern die berühmte Tolpatschigkeit des Heranwachsenden. Und wenn du Mutter eines Jungen bist, der in diese Phase kommt, lass dich beruhigen: du hast nichts falsch gemacht! Alles ist im grünen Bereich, nur leider für eine kleine Weile nicht das Gehirn deines süßen Prinzen. Denn in das wird gerade eine neue Softwareversion eingespielt, was dazu führen kann, dass dein Kleiner plötzlich schwerhörig wird, dich scheinbar nicht mehr wahrnimmt, schlechter sieht. Die Koordination von Entfernungen klappt gerade nicht so.
Hier mal gegen einen Türrahmen laufen, dort Teller und Gläser fallen lassen. Das ist die Folge von der Neujustierung auf der Festplatte. Die Entfernungen vor dem Testosteronschub und danach sind synaptisch einfach anders verknüpft. Das ist eben die Pubertät und glaube mir, dein Kleiner leidet unter seiner Tolpatschigkeit genauso. Von daher, wissen, es ist die Pubertät, wachsam sein, aber entspannt reagieren. Keifende, unentspannte Mütter richten in dieser Zeit immensen Schaden an. Was sich rächen wird … in Form der zukünftigen Schwiegertochter. Also liebevoll locker machen, dann bestehen sehr gute Aussichten, dass die Dinge sich in der Zukunft für den Nachwuchs positiv entwickeln.
Mit vierzehn Jahren hat der Testosteronspiegel dann seinen Höhepunkt erreicht. Das Schamhaar wächst, die Akne blüht (bei Schwermetall belasteten Kindern leider mehr) und starke sexuelle Gefühle mit einer allgemeinen Ruhelosigkeit rauben dem Sprössling und der Umgebung mehr oder weniger den Verstand. Da heißt es dann für Mamma und Papa: Ruhe und Humor bewahren.
Ist der Junge dann Mitte 20 beruhigen sich die Dinge – hormonell gesehen – wieder. Zwar ist der Testosteronspiegel immer noch fast genauso hoch, aber sein Körper und auch seine Psyche haben sich nun an diesen Umbauzustand gewöhnt. Das neue Softwareprogramm läuft jetzt tadellos.
Wenn wir als Eltern verstehen, wie das männliche Geschlechtshormon auf einen Jungen wirkt, begreifen wir auch, was in ihm vorgeht, besonders in diesen kritischen Zeiten. Denn sie sind für den Jungen, der zum Mann wird, eine unvorstellbare Stressphase. Mädchen haben es lange nicht so stressig. Denn sie werden nicht in der Pubertät „zum zweiten Mal neu programmiert“. Ein Junge „wird gemacht“, ein Mädchen „ist schon“. Wissen wir um diese Neujustierung, können wir einfühlsamer und hilfreicher reagieren. So wie ein guter Ehemann die hormonell bedingten Schwankungen seiner Partnerin vor den Tagen versteht, begreifen gute Eltern, welche Auswirkungen das Testosteron auf das Verhalten ihres Sohnes hat.
Zusammengefasst: Jungen brauchen Geborgenheit, Verständnis, Lob, Geduld, ebenso wie Struktur und Ordnung, sonst geht’s drunter und drüber.
Da es noch sehr viel mehr interessante und auch wichtige Dinge zur Erziehung von kleinen Jungs zu sagen gibt, empfehle ich, die Buchtipps (siehe Seitenanfang, nach der der Einleitung) anzuschauen. Eine Bereicherung für Eltern und Kinder.