Der Bomber, der den „kleinen Jungen“ ins Ziel brachte, war nach dem Mädchennamen der Mutter des Piloten benannt: Enola Gay. Der junge Mann, Pilot des Fliegers, hieß Paul W. Tibbets und er war stolz aus seine Mission und darauf, dass das Flugzeug den Namen seiner Mama trug.
Was sich fast nach einem beschaulichen Familienausflug anhört, war ein Angriff, wie es ihn in der Menschheitsgeschichte noch nie gegeben hatte. Ob seine Mutter später noch Freude an der zweifelhaften Ehre hatte, dass der Bomber, der in wenigen Sekunden zwischen 22.000 und 30.000 Menschen verbrannte – oder eher pulverisierte, ist nicht bekannt. Das waren noch die Glücklicheren. Sie hatten nicht einmal Zeit zu begreifen, dass sie rückstandslos vernichtet wurden, innerhalb von Sekunden zu Asche wurden. In der folgenden Wochen, Monaten und Jahren starben etwa 40.000 weitere Menschen einen qualvollen Tod.
➥ Autor: Niki Vogt
➥ Buchempfehlung: Sadako will leben
Am 06. August 1945
Um 08:15 Uhr und 17 Sekunden Ortszeit morgens geschah das Entsetzliche. In 9.950 Meter Metern Höhe löste Pilot Paul Tibbets den Abwurf der vier Tonnen schweren Atombombe „Little Boy“ aus. Um 08:16 und zwei Sekunden explodierte die Bombe in einer Höhe von 580 Metern über dem Stadtzentrum von Hiroshima.
Von der Stadt blieben kaum echte Trümmer. Über 90 Prozent der Häuser wurden von der Explosions-Druckwelle sprichwörtlich pulverisiert. Innerhalb einer Milliardstelsekunde stieg die Lufttemperatur auf 60 Millionen Grad. Das ist 10.000 Mal heißer als die Sonne und die Luftausdehnung aufgrund dieser Erhitzung erzeugte die gigantische Druckwelle, die die Gebäude der Stadt einfach hinwegfegte.
Die Hitze-Entwicklung war so groß, dass noch in einer Distanz von 10 Kilometer vom Mittelpunkt der Explosion entfernt eine Temperatur von 6.000 Grad Celsius alles sofort verbrannte, was brennen konnte, einschließlich alles Lebendigen, das in wenigen Momenten zerkochte. Es gab ein paar noch erhaltene Treppenstufen in der Stadt, auf denen man den Schatten eines Menschen erkennen kann. In der einen Sekunde während seiner atomaren Vernichtung warf er einen Schatten auf die Treppe zu einem Bankgebäude, der sich farblich heute noch abhebt. Das Stück Treppe ist heute im Friedensmuseum von Hiroshima ausgestellt, sowie eine Uhr, die zu dem Zeitpunkt halb verbrannt stehengeblieben ist.
Atombombenabwürfe auf Hiroshima
Man geht von etwa 80.000 Menschen aus, die dabei umgekommen sind, aber wahrscheinlich waren es deutlich mehr. Denn neben der bekannten Einwohnerzahl in diesem Gebiet hielten sich ja zu diesem Zeitpunkt noch japanische Soldaten, sowie chinesische, wie auch koreanische Zwangsarbeiter in der Stadt auf. Wie viele Menschen unten in der Stadt mochten noch zufällig in den Himmel geschaut haben, die Augen ein wenig zusammengekniffen, den schwarzen Punkt fixierend, der schnell größer werdend von oben auf sie zukam und sich fragten, was das denn sein könnte. Vielleicht haben sie sogar noch den Lichtblitz gesehen und waren zwei Sekunden später ein zerstäubtes Wölkchen Asche in einer flächendeckenden, atomaren Wüste. So wie auch Kinder, kleine Babys und noch Ungeborene, Tiere und Pflanzen.
Man konnte in der ehemaligen Innenstadt Hiroshimas ja nicht einmal die kleinsten Überreste der Opfer finden – und es gab auch niemanden mehr, der das Verschwinden eines Nachbarn oder Nahestehenden melden konnte. Nur diejenigen, die in einem deutlich weiteren Umkreis lebten, konnten vermisste Freunde oder Angehörige melden. Es gab Zigtausende, von denen niemand mehr weiß, dass sie überhaupt einmal existiert hatten, die niemand kannte, niemand vermisste, niemand betrauerte.
In der Folgezeit starben noch weitere Zigtausend Menschen. Manche innerhalb von Tagen an ihren unglaublich schmerzhaften Verbrennungen oder an der radioaktiven Verseuchung. Es gab fürchterlich Verkrüppelte, von denen manche noch Jahre überlebten und litten, Blinde, Entstellte, unglaublich viele Tumorerkrankte und sogar nach zehn Jahren forderte die durch Strahlung verursachte Leukämie noch viele Todesopfer.
Das Ganze war in seiner unfassbaren Grausamkeit und Brutalität in Fotos und Berichten festgehalten worden.
Und doch wiederholte es sich drei Tage später in Nagasaki
Eigentlich sollte die Stadt Kokura dasselbe Schicksal ereilen, wie Hiroshima, weil es dort eine wichtige Rüstungsindustrie gab. Doch die Sichtverhältnisse waren schlecht, die Stadt Kokura und Umgebung lag unter einer dichten Wolkendecke – zusätzlich noch durch Rauch und Staubschleier aus der Nachbarstadt Yahata, die am Tag davor von einem Luftangriff mit Brandbomben zerstört worden war. Man konnte nicht ausmachen, wo genau die Fabriken lagen und wo die Bombe ausgeklinkt werden sollte. Sie musste auf Sicht abgeworfen werden, damit sie die dortigen Rüstungsbetriebe auch wirklich trifft.
Nach drei vergeblichen Anflügen steuerte der 25-jährige Pilot Charles W. Sweeny mit seinem Bomber Bockscar deshalb das Ausweichziel Nagasaki an, denn zu noch einem Anflug reichte das Flugbenzin nicht mehr.
Hier sollte die Schiffswerft zerstört werden. Aber auch hier waren die Sichtverhältnisse schlecht. Pilot Sweeny hätte eigentlich den Angriff aufgeben müssen. Doch mit der schweren Bombe hätte er die Strecke zur nächsten Möglichkeit der Notlandung in Okinawa nicht erreicht. Um 11:02 warf er die Bombe „fat man“ über einem dicht bewohnten Gebiet ab, quasi als „Ballast-Abwurf“. Sie sollte eigentlich den Mitsubishi-Konzern treffen, verfehlte ihr Ziel aber um mehr als zwei Kilometer. Sie zerstörte fast das halbe Stadtgebiet. Die Explosion in etwa 470 Metern Höhe über dem Boden vernichtete im Umkreis von einem Kilometer 80 Prozent aller Gebäude komplett – zumeist Holzhäuser. Es gab in der ganzen Stadt nur wenige Überlebende. Auch hier starben in den ersten Sekunden wahrscheinlich mehr, als die amtlich festgestellten 22.000 Menschen. Fast Vierzigtausend starben in den nächsten Monaten unter fürchterlichen Schmerzen. 74.000 Menschen wurden verletzt, viele schwer. Auch hier erlagen Unzählige später ihren durch die radioaktive Strahlung verursachten Krebsgeschwüren überall im Körper oder Leukämie.
Bis heute hat sich noch keine US-Regierung dazu überwinden können, eine offizielle Erklärung zu Schuld und Vergebung abzugeben.
Sadako will leben
In den sechziger Jahren kam ein Buch heraus mit dem Titel „Sadako will leben“. Dieses Jugendbuch des Wiener Schriftstellers Karl Bruckner erschien 1961, also mitten im Kalten Krieg. Es war an die Jugend gerichtet, um ihr die Grauen des Krieges, die Eskalation von Gewalt und die rücksichtslose Massenvernichtung von Menschen zu erklären und davor zu warnen: ein aufrüttelndes und berührendes Plädoyer gegen Krieg, Hass, Gewalt und das massenhafte Töten als Pflichterfüllung auf Befehl.
Das Buch erzählt die wahre Geschichte der kleinen Sadako Sasaki, die als zweieinhalbjähriges Kleinkind die Atombombe von Hiroshima überlebt. Ihre Familie kämpfte täglich ums Überleben, um ihrer mittlerweile 12-jährigen Tochter Sadako ein besseres Leben zu geben. Doch Sadako, die ein sportliches, scheinbar gesundes Mädchen war, ist längst dem Tod geweiht. Bei ihr wurde, wie bei vielen Hibakusha (Überlebende des Atombombenangriffs), die „Atombombenkrankheit“, eine Leukämie diagnostiziert. Sie starb am 25. Oktober 1955.
Papier-Origami-Kraniche
Eine alte Sage Japans besagt, dass die Götter jemandem, der 1.000 Papier-Origami-Kraniche faltet, einen Wunsch erfüllen. Sadako schöpft Hoffnung und glaubt daran. Sie will leben. Sie kämpft um ihr Leben, das ihr gestohlen wurde. Doch sie verliert.
Wie viele Kraniche sie schon gefaltet hat, ist nicht wichtig, aber umstritten. Ihr Bruder Masahiro Sasaki spricht von insgesamt rund 1.600 Kranichen, die Sadako bis zu ihrem Tod faltete. Manche Erzählungen beschreiben, dass sie sterbend noch den Tausendsten Kranich zu Ende bringen wollte, er ihr aber halbfertig aus den sterbenden Händchen fällt.
Doch ihre Geschichte und ihr unbesiegbarer Lebenswille, dessen Symbol die Origami-Kraniche wurden, machte die Papierkraniche zu einem Schwarm bunter Friedenstauben. Heute noch kennt jedes Kind in Japan die Geschichte Sadakos. Kinder aus der ganzen Welt schicken Papier-Origami-Kraniche nach Hiroshima, wo sie im Friedensmuseum ausgestellt sind.
Nie wieder Krieg!
Bisher lebten wir doch alle in der Überzeugung, einen Atomkrieg werde es niemals wieder geben. So etwas Grauenhaftes, wie die Welt es in Japan gesehen hat, wird nie wieder irgendjemand machen. Unter gar keinen Umständen.
Wir sind aufgewachsen mit der Überzeugung, dass die Menschen gelernt haben, welch fürchterliche Geißel der Krieg und die Gewalt ist. Es dürfe „Nie wieder Krieg“ geben, waren wir überzeugt. Und doch werden wir dieser Tage bis ins Mark geschockt, wenn wir unsere Politiker hören, die sogar offen sagen, sie schließen einen Atomkrieg nicht aus. Was in Hiroshima und Nagasaki passiert ist, kann auch in Berlin, Köln, Paris, London, Madrid und Rom passieren.
Wenn die Hölle von Hiroshima und Nagasaki und der schreckliche Massenmord an so vielen Menschen überhaupt irgendeinen Sinn hatte, dann doch wenigstens den, dass die Menschheitsfamilie begriffen hat, dass so etwas nie, niemals wieder geschehen darf. Es kann und darf nicht sein, dass angesichts dieser Tragödie, heute wieder von der Möglichkeit eines Atomkrieges gesprochen wird, als müsse man diese „Unannehmlichkeit“ nun einfach mal in Kauf nehmen!