Bengal Rosa ist gemeinhin als Farbstoff bekannt. Und es ist eine sehr ungewöhnliche Verbindung. Ursprünglich wurde es in den späten 1800er Jahren als Textilfarbstoff verwendet und fand später eine Vielzahl diagnostischer Anwendungen. Es gibt mehr als 3.500 begutachtete Veröffentlichungen, in denen die Verwendung von Bengal Rosa zum Anfärben von krankem Gewebe oder zum Erkennen von Gewebeunregelmäßigkeiten beschrieben wird. Ende der 90er Jahre jedoch fand es den Weg in die direkte therapeutische Anwendung.
➥ Autor: Barbara M. Thielmann
Bengal Rosa und seine Lichtempfindlichkeitseigenschaften
Weil Bengal Rosa stark auf Licht reagiert, was auch beim Einfärben von Geweben genutzt wurde, hat man Ende der 90er Jahre im Moffitt Cancer Center in Tampa, Florida mit Experimenten begonnen, den Farbstoff in kranke Gewebe direkt zu injizieren. Das Moffitt Cancer Institut ist führend in der Behandlung von Melanomen, einer besonders aggressiven Form von Hautkrebs, und verfügt auch über umfassendes Wissen über den Farbstoff Bengal Rosa, dem es später die Bezeichnung PV-10 gab. Denn so heißt der aus dem Farbstoff entwickelte Wirkstoff.
Man wollte wissen, ob der Wirkstoff PV-10 als Injektion eine Immunreaktion auslösen kann. Tatsächlich stellte die Moffitt-Studie fest, dass Konzentrationen von Bengal Rosa krankes Gewebe zerstören. Außerdem kommt es zu einer Immunreaktion. Die Studie kam zu dem Schluss, dass, wenn PV-10 das Wachstum von direkt injizierten Tumoren abtötet oder reduziert, eine robuste Antitumor-T-Zell-Reaktion folgt. Antitumor-T-Zellen sind spezielle Abwehrzellen des Immunsystems, die Krebszellen bekämpfen. Dies wurde bei allen untersuchten Krebsarten beobachtet, nicht nur bei Melanomen. Man hatte ein neues Mittel gegen Krebs gefunden.
Wie wirkt dieser Farbstoff?
Bengal Rosa PV-10 wirkt durch einen neuartigen Wirkmechanismus. Er besteht aus 10 % Bengal Rosa in einer Kochsalzlösung, der höchsten erreichbaren Konzentration die dieser Stoff in einer Injektionslösung eingehen kann. Zudem fand man heraus, dass Bengal Rosa in dieser Lösung unabhängig von der Art des Krebses ist. Die Attraktivität für die Entwicklung liegt darin, dass PV-10 bei jedem Krebs eingesetzt werden kann, in den man eine Nadel stecken kann. Es hat das Potenzial für mehrere Indikationen und kann solide Tumore in der Brust, der Prostata, der Blase und anderswo behandeln.
Der Einsatz in der Diagnostik
Bengal Rosa wird seit Jahrzehnten als Leberdiagnostikum eingesetzt und ist für die Behandlung von Leberkrebs geeignet. Dies ist wichtig, da viele Krebsarten in der Leber metastasieren, also dort neue Tumore bilden. Da PV-10 minimalinvasiv ist und optisch dicht ist, ist die direkte Injektion in solide Tumore einfach.
Die Herstellung
Bei Bengal Rosa handelt es sich um ein kleines Molekül, nicht um ein Biologikum (Biologika sind Arzneistoffe oder Impfstoffe, die biotechnologisch oder mithilfe von gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden). Es wird in großen Mengen in einem unkomplizierten Herstellungsverfahren synthetisiert. Somit ist PV-10 ein kosteneffizientes, injizierbares Präparat mit mehreren Indikationen, das sowohl vor als auch nach chirurgischen Eingriffen eingesetzt werden kann, entweder als eigenständiges Präparat oder als Ergänzung zur Krebstherapie.
Anwendungen von Bengal Rosa
Bengal Rosa ist einzigartig, auch weil es photodynamische Eigenschaften hat. Es kann als Mittel für die photodynamische Therapie (PDT), bei der lichtaktivierte Substanzen gezielt krankes Gewebe zerstören, eingesetzt werden, wie sich bei der Behandlung von Hautkrankheiten wie Psoriasis und atopischer Dermatitis gezeigt hat.
Dieser Farbstoff kann sowohl für PDT- als auch für Nicht-PDT-Anwendungen eingesetzt werden. Für Krebs brauchen wir kein Licht. Bengal Rosa liefert eine reine zytotoxische Wirkung, die sicher und vor allem gut verträglich ist. Es wird im Körper nicht verstoffwechselt und hat eine Halbwertszeit von 30 Minuten, sobald es in die Blutbahn gelangt. Aufgrund dieser schnellen systemischen Clearance (Entgiftungsleistung der Nieren) konnten mit einer intravenösen Verabreichung nie therapeutische Werte erreicht werden. Daher werden therapeutischen Konzentrationen durch direkte Injektion in den Tumor erreicht.
Eine Studie, die auf dem 8. Weltkongress für Melanome vorgestellt wurde, mit dem Titel „Rose Bengal Phototoxicity Versus Intrinsic Cytotoxicity“ kommt zu dem Schluss, dass ein Zusammenspiel von Zellnekrose und Autophagie (bei der sich eine Zelle selbst ‚verdaut‘) ein möglicher Wirkmechanismus ist. Der „Antigensturm“, der auf die Bengal Rosa-PV-10-induzierte Autolyse (Vorgang der Selbstauflösung abgestorbener Körperzellen ohne die Beteiligung von Bakterien) folgt, führt dazu, dass das Immunsystem gegen den Krebs aktiviert wird. Dies führt zu einer schnellen Zerstörung des Tumors. Als Wirkstoff interagiert PV-10 nicht mit normalen Zellmembranen. Es interagiert jedoch mit den Membranen von Krebszellen. Das macht es so besonders. Denn eine Chemotherapie greift ja bekanntlich alle Zellen an, auch die gesunden.
Leider gibt es noch sehr wenig im deutschsprachigen Raum zum Thema „Bengal Rosa“. Rezeptfreie Produkte, die diesen Farbstoff enthalten, gibt es in Deutschland, zum aktuellen Stand recht wenige. So ist, z.B. eine 50ml Lösung Bengal Rosa in Kombi mit 10%igem DMSO im Braunglas mit Pipette erhältlich.
Ausblick
In den kommenden Jahren könnte die Forschung zu diesem einzigartigen Farbstoff weiter an Bedeutung gewinnen. Die Entwicklung neuer Therapien und diagnostischer Anwendungen wird entscheidend sein, um das volle Potenzial dieses faszinierenden Farbstoffs auszuschöpfen. Weitere Studien sind notwendig, um die Wirksamkeit und Sicherheit in verschiedenen klinischen Kontexten zu bestätigen.